Eine Reise durch die queere Geschichte

Wer heutzutage in den sozialen Medien unterwegs ist, dem begegnen immer häufiger Outings aller Art und das gute Gefühl entsteht, dass sich immer mehr Menschen frei ausleben können, die Teil der queeren Community sind - also alle, die von der „gesellschaftlichen Norm“ abweichen. Auch bei der Berlinale beschäftigen sich dieses Jahr wieder einige Filme mit dem Finden und Austesten der eigenen Sexualität, den Grenzen und Übergängen von Geschlechterkonstrukten und der Geschlechtsidentität. Die LGBTQ+ Community scheint größer und akzeptierter denn je, und grade das nehmen leider immer noch einige zum Anlass, um zu behaupten, Outings seien ein Trend; etwas außer männlich und weiblich gäbe es doch gar nicht und alle, die sich nicht mit den Normen, nach denen sich unsere Gesellschaft ausrichtet, identifizieren können, hätten keine richtigen Probleme. Allerdings gibt es Homosexualität, Trans*- und andere Menschen, die heute Teil der LGBTQ+ Community sind, schon soweit unsere Geschichtserfassung zurückreicht. Und da dies ein so wichtiges und auch im Generationsprogramm häufig verarbeitetes Thema ist, ist es doch interessant mal etwas tiefer in die Vergangenheit zu schielen und einen kleinen geschichtlichen Abriss der LGBTQ+ Community zu erzählen.


Tatsächlich ist die Unterdrückung queerer Menschen im Vergleich zur Geschichte ein ziemlich neues Phänomen. Im antiken Griechenland und Rom gab es zum Beispiel zahlreiche Belege für die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern, so war die sogenannte Knabenliebe weitestgehend verbreitet und auch das Zusammenleben zweier gleichaltriger Männer wurde toleriert. Sowohl bekannte griechische Dichter wie Platon oder Straton von Sardis erwähnten und beschrieben in ihren Werken gleichgeschlechtliche Liebe, als auch diverse Vasenmalereien. In Platons Symposium beschrieb er auch erstmals das Konstrukt eines dritten Geschlechtes, so wird in der Rede des Aristophanes von „Doppelmann, Doppelweib und Mannweib“ (Platon, Symposium nach K. Apelt, gottwein.de) gesprochen. Belege für weibliche Homosexualität tauchten erstmals in der Spätantike auf, davor verurteilten römische Dichter wie Ovid oder Seneca diese oder stritten sie ab. Die geringe Anzahl an Beispielen für weibliche Homosexualität kann auch darauf zurückzuführen sein, dass Frauen generell gesellschaftlich als nicht wichtig oder erwähnenswert angesehen wurden.

Auch in Asien wurde Homosexualität schon immer beschrieben und toleriert. In China beispielsweise war es bis in moderne Jahrhunderte für viele Kaiser oder Herrscher üblich einen gleichgeschlechtlichen Geliebten zu haben. Und während die Diskriminierung und von Homosexualität im spätantiken Rom und Griechenland bereits begann, ist China einer der wenigen Staaten, in denen es juristisch gesehen nie Verbote der Homosexualität gegeben hat und auch die Diskriminierung und verschwindende Toleranz erst im modernen Zeitalter begann.

In Skandinavien war im 11. Jh. n. Chr. der Transvestismus (Hiermit sind Merkmale oder das Tragen von Kleidung, die einem anderen Geschlecht zugeordnet werden, gemeint) ein großer Teil der Kultur und auch in späterer Zeit gab es duzende Belege in verschiedenen Kulturen und Religionen dafür, allerdings ist aus heutiger Sicht oft nicht einzuschätzen, ob eine Form von Trans* vorlag oder von einem Rollentausch auszugehen ist, da sich einige Frauen Kleidung und Attribute zulegten, die dem männlichen Geschlecht zugeordnet waren, um ein gesellschaftlich höheres Leben führen zu können.

Je weiter man zur jüngeren Geschichte gelangt, desto mehr verschwindende Toleranz, steigende Diskriminierung und Anzahl an Gesetzen gegen Homosexualität und queere Menschen findet man. Im Jahr 1290 entstand das erste gesetzliche Verbot von Homosexualität in England, im 16. Jh. wurde homosexuelles Verhalten, zumindest in der westlichen Welt, beinahe überall als eine Straftat gehandhabt. „Sodomie“, wie Homosexualität in vielen Ländern seit dem christlichen Mittelalter betitelt wurde - was soviel heißt wie „sündiges Sexverhalten“ und heutzutage den sexuellen Missbrauch von Tieren beschreibt (Duden) - stand fast überall unter teilweise schlimmer Strafe und hatte Kastration, Verstümmelung oder auch den Tod zur Folge. In Deutschland wurde 1872 der Paragraf 175 verabschiedet, der bis 1994 Teil des Gesetztes war und männliche homosexuelle Handlungen mit Rechteaberkennungen und Gefängnisstrafen versah. Auch die sogenannte Konversionstherapie rückte in der westlichen Welt ins Zentrum, bei der Betroffene durch eine Hormontherapie von ihrer Homosexualität „geheilt“ (queer.de, 2018) werden sollten - da im 20. Jh. homosexuelle Neigungen als psychische Krankheit oder physiologische Fehlentwicklung, die heilbar sei, angesehen wurde. Diese Therapien - die teilweise tiefgehende körperliche und psychische Leiden und Schäden mit sich zogen, sind bis heute nicht überall verboten und auch in Deutschland ist die Ausführung solcher Therapien erst seit 2020 bundesweit strafbar, obwohl die weltweite Streichung von Homosexualität als Krankheit bereits 1992 erfolgte.

Natürlich gab es schon seit Beginn der wachsenden Diskriminierung und Verbote von Homosexualität weltweit Proteste, Aufstände und Bewegungen für die Rechte von Homosexuellen. Magnus Hirschfeld gilt beispielsweise als Begründer der ersten Homosexuellenbewegung in Deutschland, die sich jahrelang öffentlich gegen den Paragrafen 175 stellte und in der Weimarer Republik für die Anerkennung von Homosexualität als sexuelle Neigung anstelle einer psychischen Krankheit sorgte. Weltweit gab es durch wachsende Bewegungen für mehr Rechte und Aktivismus durch Romane oder Theaterstücke einen Fortschritt und Homosexualität wurde in einigen Ländern wie Guatemala, Mexiko oder dem Osmanischen Reich endkriminalisiert. Auch in Deutschland stimmte 1929 der Reichstag für eine Abschaffung des Paragrafen 175, allerdings sollte dies durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Kehrtwende nehmen und hin zu den dunkelsten Jahren in Deutschland für Homosexuelle führen.

Männliche Homosexualität galt nach der Ideologie der Nationalsozialisten als „unzüchtig“ (Klein et al., 2020) und der Paragraf 175 wurde 1935 verschärft. Zwischen 1940 und 1945 wurden schätzungsweise zwischen 50.000 und 100.000 männliche Homosexuelle mit einer Gefängnisstrafe versehen und 10.000 in Konzentrationslager verschleppt, die dort mit dem sogenannten „Rosa Winkel“ gekennzeichnet wurden. Während man in den ersten Jahren einer Verschleppung in ein KZ durch eine „freiwillige Kastration“ (Klein et al., 2020) noch entkommen konnte, fanden seit 1942 Zwangskastrationen von Homosexuellen in den Konzentrationslagern statt. Tausende Homosexuelle überlebten diese Zeit nicht und auch alle Arten von Emanzipationsbewegungen unter Hitler erloschen. Allerdings änderte sich daran auch nicht viel nach der Befreiung durch die Alliierten und homosexuelle Handlungen wurden weiterhin mit Freiheitsentzug bestraft. Tatsächlich mussten viele Überlebende nach der Befreiung aus einem Konzentrationslager eine Freiheitsstrafe antreten. Eine Entschuldigung des Deutschen Bundestags an verfolgte Homosexuelle in der NS-Zeit erfolgte erst 2002.

In der gesamten Zeitspanne ist die Erforschung der weiblicher Homosexualität ein Problem, da es kaum aussagefähige Quellen gibt. Dass es gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen zu allen Zeiten der Geschichte gab, ist unumstritten, allerdings waren Frauen in den meisten Kulturen gesellschaftlich lange nicht emanzipiert genug um überhaupt Thema von Auseinandersetzungen zu sein. In Schottland kam die Behörde 1882 bei einer Debatte zu dem Schluss, dass Geschlechtsverkehr zwischen Frauen gar nicht möglich sei. Auch die Unterdrückung weiblicher Homosexualität im Dritten Reich ist schwer einzuordnen, da die Aufarbeitung verhältnismäßig spät begann, es kaum schriftliche Quellen dazu gibt und Wissenschaftler somit auf Zeitzeugen zurückgreifen müssen.

Vor allem wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Trans* traten erst spät auf, auch wenn es Belege für das Auftreten von Menschen, die ihr Geschlecht „änderten“ (wobei damit nur die äußerliche Anpassung der Merkmale an das innere Geschlecht gemeint ist) schon früher gab. Hirschfeld, der auch in der Bewegung für Homosexuelle eine bedeutende Rolle spielt, beschäftigte sich als einer der ersten mit dem Thema Trans* und prägte 1923 den Begriff „seelische Transsexualität“ (gendertreff.de), der die Nichtübereinstimmung von gefühltem und körperlichem Geschlecht beschrieb. Auch in den USA wurde Transsexualität im 20. Jh. mehr erforscht und 1950 konnten erste Patient*innen eine Hormontherapie erhalten, außerdem fanden erste geschlechtsangleichende Operationen statt.

Ein Datum, welches einen langsamen Wandel in Richtung der Akzeptanz veranlasste und noch heute bekannt und weltweit gefeiert wird, ist der 28. Juni 1969, an welchem der sogenannte Stonewall-Aufstand in der New Yorker Christopher Street stattfand. In den 1960ern gab es schon eine größere queere Community, die sich allerdings nur im Untergrund ausleben konnte. Auch wenn z.B. Schwulenbars gesetzlich nicht mehr verboten waren fand eine starke Diskriminierung weiterhin statt, da Homosexualität noch immer als psychische Krankheit angesehen wurde und homosexuelle Kontakte zu Verhaftungen wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ (demokratiegeschichten.de, 2019) führen konnten. In dieser Zeit gab es vermehrt Razzien durch die Polizei in queeren Bars, bei denen hauptsächlich Menschen verhaftet wurden, die die „falsche“ Kleidung trugen, denn nach US—Amerikanischem Bekleidungsgesetz galt ein Verbot von vermehrten Tragen von Kleidung, die dem „anderen Geschlecht“ (demokratiegeschichten.de, 2019) zugeordnet wurde (welches bis heute in einigen US-Staaten noch immer im Gesetz steht) - vermehrt also Trans*-Menschen, Drags oder einfach maskulin gekleidete Frauen und feminin gekleidete Männer. In der frühen Nacht am 28. Juni fand solch eine Razzia statt, doch zum ersten Mal weigerten die Barbesuchenden sich auszuweisen oder widerstandslos abführen zu lassen. Nachdem die Polizei einige Menschen sofort festnehmen wollte, begann ein Aufstand und es entwickelte sich eine Schlägerei zwischen den Menschen, die sich in der Bar aufhielten, und den Polizeibeamt*innen, die bis in den Morgen anhielt. Und auch wenn das Resultat viele Verhaftungen und Verletzte waren, stellte sich dieser Morgen als ein Wendepunkt in der Geschichte heraus - tagelang kam es in der Christopher Street zu erneuten Aufständen und Protestaktionen und bereits einige Wochen nach dem 28. Juni hatte sich eine friedliche, große Bewegung gebildet, die für mehr Rechte, Gesellschaftsteilhabe und Akzeptanz queerer Menschen einstand. Auch in Deutschland löste der Stonewall-Aufstand viele Bewegungen aus und führte zu einer Lockerung des Paragrafen 175, sodass homosexueller Kontakt unter erwachsenen Männern straffrei wurde.

Stonewall-Aufstand
Seit dem Stonewall-Aufstand verbreitete sich weltweit immer mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz gegenüber queeren Menschen, auch wenn es ein langsamer und mühsamer Prozess von LGBTQ+-Bewegungen war und immer noch ist. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig aus dem Deutschen Gesetz gestrichen. Deutschland war mit der Öffnung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Oktober 2017 eines der letzten westlichen Länder, die besagten Gesetzbeschluss verabschiedeten, heutzutage können aber gleichgeschlechtliche Paare in gleicher Linie wie heterosexuelle Paare vom Adoptionsrecht Gebrauch machen und den selben Rechten und Pflichten der Ehe nachgehen.

Noch immer feiern Millionen von Menschen in vielen Ländern jedes Jahr mit dem Christopher Street Day die Gleichheit und Vielfältigkeit von Menschen gefeiert. Immer wieder gibt es Personen, die behaupten dieser Tag sei in einer Gesellschaft wie der unseren im heutigen Zeitalter überflüssig geworden, da es ja bereits eine Gleichstellung gäbe. Schaut man sich allerdings auch nur ein wenig in der Welt um, wird einem klar wie wenig fortgeschritten die Gesellschaften weltweit in Hinblick auf queere Menschen sind und auf wie vielen Ebenen (wie zum Beispiel durch die Sprache, hierzu gerne Sarahs Artikel lesen) eine Unterdrückung immer noch stattfindet. In Russland, den meisten afrikanischen und südostasiatischen Ländern gibt es bis heute keine Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, in vielen Ländern sind homosexuelle Handlungen immer noch illegal und werden bis hin zum Tod bestraft. Selbst in Deutschland können schwule Paare immer noch keine eigenen Kinderwünsche erfüllen, da die Leihmutterschaft verboten ist. Mit noch weniger gesellschaftlicher Akzeptanz haben zum Beispiel Transgender, gender-fluide oder non-binary Menschen zu kämpfen, da hier die Geschichte der Emanzipationsbewegungen viel später seinen Lauf nahm. Zwar können Trans*-Menschen in Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern heutzutage eine Namensänderung vornehmen, eine Hormontherapie beginnen und geschlechtsangleichende Operationen durchführen lassen, die von den meisten Kassen übernommen werden, allerdings ist es immer noch ein langandauernder Prozess und Voraussetzung sind mehrere Gutachten, bis zu deren Ausstellung viele Betroffene jahrelange Leidenswege hinter sich haben. Und trotz der rechtlichen Lage sind Menschen, die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, von einem großen Teil der Gesellschaft immer noch nicht vollkommen akzeptiert oder toleriert.

Wenn ich mir rückblickend die Geschichte der LGBTQ+-Szene anschaue, dann denke ich, dass wir recht froh sein können in der heutigen Zeit zu leben und in einem Teil der Welt, in dem die Gleichstellung von allen Menschen immer mehr voranschreitet. Es ist mir allerdings immer noch unbegreiflich, wie es eine solch langandauernde und gravierende Diskriminierung in den letzten Jahrhunderten von queeren Menschen geben konnte, wenn es selbst in den ersten geschichtlichen Aufzeichnungen der Kulturen vollkommen normal war, nicht heterosexuell oder Cisgender zu sein. Und bis hin zu einer vollkommenen Gleichstellung ist es weltweit, aber auch in Deutschland, noch ein sehr langer und wahrscheinlich mühsamer Weg, zu dem wir aber alle etwas beitragen können, indem wir uns für die Rechte, Toleranz und Vielfältigkeit von allen Menschen einsetzen.


Quellen:
Kenneth Dover: Homosexualität in der griechischen Antike. C.H. Beck, München 1983.
Simone Klein, Wiebke Ziegler: Homosexualität. Planet Wissen, 2020.
Dalin Liu, Erwin Haeberle: Die Harmonie von Ying und Yang, Gleichgeschlechtliche Liebe. 2013.
Gendertreff.de
Annalena B.: Die Legende von Stonewall. Demokratiegeschichten.de, 2019.
Ingo Neumayer, Transsexuelle – Die rechtliche Situation. Planet Wissen, 2020.
Arn Thorben Sauer, Gutachten: Begrifflichkeiten, Definitionenund disziplinäre Zugänge zu Trans- und Inter geschlechtlichkeiten, BMFSFJ, Berlin 2015.
Deutscher Bundestag: Weibliche Homosexualität, 2016.
Tagesschau.de: „Konversionstherapie"-Verbot beschlossen. 2019.

Bilder:
Pride-Flagge
Stonewall-Aufstand
21.02.2020, Clara Bahrs

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