Schweigende Worte



Eine Kritik zu Desperté con un sueño

11:00 Uhr in der Urania: Das Kino ist gut gefüllt mit Kindern und Erwachsenen, die im Laufe des Filmes lachen, klatschen, berührt und von der Stille erfüllt sein werden. Genau diese Stille spielt eine zentrale Rolle in “Desperté con un sueño”, mit der versucht wird zu vermittelt, dass man manchmal auch mehr ohne Worte sagen kann.
© Marcelo laccarino

Felipe ist auf dem Nachhauseweg vom Schauspiel-Workshop, an dem er zusammen mit seinen Freunden teilnimmt, als er sich neben einer Pfütze hinhockt und Schlamm in seine Hände nimmt, um diesen auf seine nicht benutzten Fußballsachen zu schmieren. Das wiederholt er jedes Mal, da er seiner Mutter Mara seine Begeisterung für das Schauspielern verschweigt. Wie gefesselt vom Theater schreibt Felipe nachts seine eigenen Stücke. Er träumt von einem begeisterten Publikum, darunter seine Mutter, seine Oma und sein verstorbener Vater, das ihm aufmerksam auf der Bühne zuschauen.
Felipes Auffassung von der realen Welt und der träumenden Bühne, von Lügen und verheimlichten Wahrheiten und von schweigenden Worten verschwimmen im Laufe des Films immer mehr. Desperté con un sueño handelt vom Erwachsenwerden, eigene Entscheidungen treffen, vom Drang nach Antworten, aber auch von Verlust und Zusammenhalt.

Der Regisseur Pablo Solarz ist selbst auch im Film als Theaterlehrer zu finden, wo er die Theatergruppe, in der Felipe Teil ist, leitet. Das tut er auch in Wirklichkeit, er koordiniert Drehbuchworkshops und genau dort ist dieser Film auch entstanden. Der 12-jährige Lucas Ferro (spielt Felipe Zavala) wollte am Sommer-Workshop teilnehmen, obwohl der Rest der Teilnehmer 40+ war. Pablo Solarz meinte, er solle einen Freund in seinem Alter mitnehmen, dann dürften sie teilnehmen. So lernten sich die beiden kennen. Der spätere Film entstand auf Basis einer Idee von Lucas, die er in dem Drehbuch-Workshop schrieb. Dieser Hintergrund schafft einen besseren Bezug zur Realität und man kann sich vorstellen, dass die Personen aus der Theatergruppe auch so hinter der Kamera zusammen sind.
Die Zuschauer*innen werden behutsam durch den Film geleitet, jedoch am Ende mit einigen Fragen hinterlassen. Ich hätte mir gewünscht, dass es einen mehr abgerundeten Schluss gegeben hätte, da die Geschichte doch relativ schnell zu Ende gebracht wurde und somit die so durchgeführte Stimmung unterbrochen wurde.
Wie Lucas Ferro im Publikumsgespräch verrät, hatte er vorher keine schauspielerische Erfahrung und es war schwierig für ihn, die Stille darzustellen, da er eher extrovertiert ist. Meiner Meinung nach hat er dies aber wirklich überzeugend hinbekommen. Man hatte das Gefühl, dass man verstehen konnte, was in seinem Kopf vorgeht, obwohl er nicht viel gesagt hat.

Die für mich bedeutendste und auch berührendste Szene, war die, in der Felipe die Mutter seines verstorbenen Vaters, die er mehrere Jahre nicht gesehen hat, in Montevideo, Uruguays Hauptstadt, besucht. Als sie am Tisch sitzen, kann seine Oma nicht eine Sekunde schweigen, sie versucht jede erdenkliche Stille mit Worten zu füllen. Felipe versucht sie zu stoppen und versucht eine Theaterübung mit ihr zu machen: Sie soll schweigen und dann einfach das Wort sagen, was herauskommt...

“Esperando, ... siempre, …. puerta, … regreso”
“Warten, … immer, … Tür, … Rückkehr”


Am Ende der Übung hat sie Tränen in den Augen. Das Schweigen zwischen den Worten wird in die Länge gezogen und erzeugt so eine spannende Intensität. Das gesamte Publikum ist gespannt still.

Mit Nahaufnahmen von Felipe, wie er durch einen kleinen Ort in Uruguay mit dem Fahrrad fährt und stimmungsvoller spanischer Musik, die von seinen Kopfhörern in den Kinosaal dringt, erzählt Despuerté con un sueño eine wohltuende Geschichte mit Seriosität, aber auch viel Humor, die einem gute Laune macht und einen Besuch im Kino Wert ist.

21.02.2023, Anna-Farida

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