Eine lyrische Kritik zu Zeevonk und Sica
Das Meer ist wiederkehrender Schauplatz in den Filmen des diesjährigen Berlinale Generation Programms. Als unzähmbare Naturgewalt stellen die Wassermassen junge Protagonisten vor Herausforderungen und bringen einschneidende Erlebnisse mit sich.
Vor allem im belgischen Film „Zeevonk“ (K+) und im spanischen Film „Sica“ (14+) steht das Meer im Fokus der Erzählung. Beide Filme erzählen von einer Teenagerin die ihren Vater durch das Meer verliert und dem Umgang mit diesem Verlust. Trotz sehr unterschiedlichen Ästhetik und Bearbeitung der Thematik sind sich die Filme verwandt. In Momenten kann „Sica“ sogar als Fortsetzung auf die in „Zeevonk“ auftauchenden Motive gelesen werden. Die einige Jahre ältere „Sica“ sucht auch nach Antworten und einer Erklärung für den Tod ihres Vaters. Aber anstatt nach einem Monster zu suchen, das ihn getötet hat, sucht sie im Wasser nach der Leiche ihres Vaters und steht einem stürmenden Meer gegenüber, das sich von Kulisse zu Antagonist des Filmes gewandelt hat. Wie die jungen Teenager sind auch beide Filme auf der Suche danach mit Verlust umzugehen und diesen darzustellen. Wie kann man über den Tod eines Vaters sprechen? Wie diesen im Film zeigen? Und wie darüber schreiben? Ich teile hier meine Eindrücke der beiden gelungenen Filme in lyrischer Form.
MEERESLEUCHTEN (zu Zeevonk von Domien Huyghe)
blau in blau verschluckt den Vater, den Papa, den Pa
mit dem kann man auf den Wellen spazieren
mit dem konnte man auf den Wellen spazieren
am Hafen rostet jetzt die Schiffsleiche
die Tochter, das Meer, die Fragen, die Fragen
die Wut auf das Wasser, du beschissenes Wasser
ik haat je water, ik trap je in het gezicht!
schiffe versenken, sinken bis nur noch der Mast aus dem Wasser ragt
das Mädchen taucht nach Beweisen
es war ein Monster, ein verdammtes Monster
ein monster doodde hem!
der Monsterfisch sucht nach kaltem Wasser in de Noordzee
weil die Ozeane wärmer werden, gloof me, man!
das Mädchen tritt mit voller Kraft gegen die Wellen
die brechen und brechen und brechen unaufhörlich
also muss man in die See rein stechen
in Zwischensprachen das Meer anschreien
das Mädchen, der Vater, der Pa, die Fragen
und schreien: Gib ihn wieder her! Geef me mijn Pa weer!
blau in blau bleiben die Bilder, die kann man noch teilen
bleibt der Bruder
die Mutter
das Meeresleuchten
MEERESGROLLEN (zu Sica von Carla Subirana)
die Erzählung beginnt mit dem Geräusch von brechenden Wellen
die auf die Klippen einschlagen
beim Augenöffnen zwischen den Steinen gewaltsam ausgespucktes Seegras
dieses Meer spricht galizisch
es ist die immer wiederkehrende Erzählung vom ertrunkenen Fischer
seit der erste Mann ein Boot baute und damit im Meer ertrank
erklingt aus dieser Schlucht ein tiefer, vibrierender Ton
ist es die Stimme vom padre, von papa, von pa oder ist es nur der Wind?
an der Küste sucht die Tochter jeden Tag die Leiche eines Vaters, entstellt
das Gesicht
das Gesicht ist unerkenntlich
das Meer hat ihm sein Gesicht genommen
an Land gibt es nur wenige Worte zwischen Mutter und Tochter
aber die Fragen, die Fragen, por que, por que non choras?
abgestoßen vom Dorf, das Freunde zu Fremden macht
wandert die Tochter entlang der Todesküste
erst Donnerrauschen, dann strömt von überall Wasser
wenn man nach dem Regen ruft, kann man das Meeresgrollen hören
während die zurückgeblieben, die Frau, die Tochter, die Mutter, dem Wind lauschen
rufen die Väter aus der Schlucht
© Mario Llorca
Sehr schön geschrieben! Mehr davon
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