Die Liebe eines Kindes

Eine Kritik zu L'amour du monde.
English version here.

Es sind die wortlosen Szenen, die in L’amour du monde von Jenna Hasse besonders bezaubern. Wenn zwei Mädchen, teils in Begleitung eines jungen Mannes, sich einfach im Wasser treiben lassen, neben dem aufgeregten Geschehen sitzen und lieber nicht Teil davon sind, sich aber gerne gegenseitig Gesellschaft leisten.

Margaux (Clarisse Moussa) und Juliette (Esin Demircan) brauchen von Anfang an nicht viele Worte, vor allem nicht füreinander. Ihre Verbindung liegt zwischen den Worten, von denen sie so selten Gebrauch machen. Um sie herum passiert so vieles. Die Jungs in dem Heim, in dem Juliette wohnt und Margaux ein Sommerpraktikum absolviert, haben viel zu melden und viel zu tun. Die Erwachsenen lassen ebenfalls kaum einen Augenblick ohne Worte verstreichen. Sie belehren, schimpfen, tadeln. Juliette und Margaux treffen sich abseits davon. Mit Joël, einem jungen Fischer, finden die beiden eine weitere verbundene Seele. Alle drei sind geprägt durch verstorbene oder unauffindbare Mütter und durch mit Abwesenheit glänzende Väter. Alle drei wirken verloren in ihrer Welt. Nur wenn sie beieinander sind, fällt alles etwas leichter.

© Langfilm

Jenna Hasse fängt die endlose freie Zeit im Sommer ein, die die Sommerferien vieler Kinder und Jugendlicher prägt. Wochen am Stück ohne Schule in der endlosen Hitze, ohne viel zu tun. Obwohl es ein kalter Februartag ist und ich im Zoopalast sitze, fühle ich mich an den Genfer See versetzt, an dem der Film spielt. Der Sommer ist eine Zeit, die den meisten Menschen viel Freiheit bietet. Doch die drei Protagonist:innen fühlen sich gefangen in ihrem Alltag, wollen am liebsten ganz weit weg. Es ist ein Kontrast, der Hasse mühelos gelingt.

Die Beziehung, die Margaux und Juliette aufbauen, ist für beide fundamental, um ihren eigenen Weg zu gehen. Margaux ist für Juliette die Bezugsperson, die sie in der Abwesenheit ihres Vaters braucht. Und Juliette gibt Margaux eine Leichtigkeit wieder, die sie seit langer Zeit nicht mehr gespürt zu haben scheint. Moussa und Demircan gehen in den unbedarften Szenen auf der Leinwand auf. Demircan bringt viel von sich selbst in Juliette, aber obwohl sich Moussa eigenen Angaben zufolge zu Anfang noch nicht allzu sehr mit Margaux identifizieren konnte, ist klar, dass sie Margaux versteht, in ihrer Haut steckt, ihre Sehnsucht und Verlorenheit spürt. Es wirkt, als wären sich beide der Kameras nicht mehr bewusst, als wären sie in ihren Charakteren aufgegangen.

L’amour du monde ist ein Sommerfilm, der doch so viel mehr mit sich bringt als nur einen Hauch von Wärme. Mit intensiven Aufnahmen von Valentina Provini und der gefühlvollen Musik von Cedric Blaser ergibt sich ein stimmiger Film, der an den Genfer See entführt und auf eine Reise mit drei verlorenen Seelen einlädt, die sich ihren eigenen Weg im Leben bahnen.

19.02.2023, Johanna Gosten

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