Die Brücke zur Vergangenheit

Eine Kritik zu Ha’Mishlahat.
An English review can be found here.
© Natalia Łączyńska

Das Flugzeug landet. Aufgeregt strömen die Schülerinnen und Schüler aus dem Flughafengebäude in den auf sie wartenden Reisebus. Endlich geht es los. Die israelischen Jugendlichen werden auf dieser Reise verschiedene Konzentrationslager und Gedenkstätten der Shoah besuchen. Jugendlicher Überschwung trifft harte, tragische Fakten. Auf der einen Seite der Wunsch, aus Regeln auszubrechen, Spaß zu haben, das Zusammensein zu genießen. Auf der anderen die Besuche der geschichtsträchtigen Orte. Harte Cuts zwischen völlig aufgedrehten Jugendlichen und versteinerten Gesichtern, Schüler:innen, die sich gegenseitig in den Arm nehmen, sich stützen. Was machen mit diesem kulturellen Erbe? Inwiefern ist man selber noch betroffen? Ist es in Ordnung, wenn man nicht völlig emotional überwältigt ist und bisher noch nicht weinen musste?
In Reflexionsgesprächen öffnen die Jugendlichen sich einander, um gemeinsam das Erlebte zu verarbeiten. Mit dabei der Großvater einer der Schüler, der immer wieder über seine eigenen Erlebnisse berichtet, durch diese Reise erneut mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Auch ihm gilt ein besonderer Blickwinkel.
© Natalia Łączyńska

Neben dieser wichtigen Konfrontation mit der Vergangenheit, zeigt der Film jedoch auch auf, dass es immer noch eine ‘normale’ Klassenfahrt von Jugendlichen ist, die ihre eigenen Probleme haben. Erste Liebe und die Hürden, die sie mit sich bringt, Liebeskummer, unerfüllte Sehnsüchte. Aber doch auch eine befreiende jugendliche Leichtigkeit, die es schafft, die schwere Thematik aufzubrechen.

Der Film macht Spaß, bringt das Publikum zum Lachen, aber auch zum Nachdenken, ernüchternd an die Verbrechen der Nazis erinnernd. Einem nicht-israelischen Publikum macht der Film klar, wie sehr jüdische Israelis auch heutzutage noch auf ihre Sicherheit achten müssen. Jedes Hotel wird zunächst von Sicherheitspersonal auf etwaige Gefahren hin untersucht. Den Schüler:innen wird eingetrichtert, sie sollten nicht öffentlich zeigen, dass sie jüdisch seien, um Zusammenstöße zu vermeiden. Erschütternd, dass Juden und Jüdinnen auch heute noch nicht offen zu ihrer Religion stehen können, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.
Ha’Mishlahat gibt den Jugendlichen Raum, zeigt unterschiedliche Bewältigungsstrategien auf, ohne wertend zu sein. Der Blick durch die Linse des Großvaters ordnet dies zudem noch einmal anders ein, verleiht dem Film eine ganz andere Stärke, und berührt auf eine andere Art.

Alles in allem ein sehr überzeugender Film, der gerade durch die Kombination aus Leichtigkeit und Härte besticht. Der Verarbeitung des Erlebten an den Gedenkstätten hätte fast noch ein bisschen mehr Raum gegeben werden können, noch tiefgreifend erschütternder sein können. Dennoch bildet gerade diese vielfache Leichtigkeit sowie das Befassen mit den alltäglichen Herausforderungen des Heranwachsens eine wichtige Brücke zum modernen Publikum. Damit es eben nicht “nur” ein weiterer Gedenkfilm wird, sondern insbesondere durch die Wahrnehmung der Jugendlichen Empathie geschaffen wird. Ein Film, der das Publikum begeistert und es dabei schafft, die Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu schlagen.

21.02.2023, Sarah Gosten

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