Die Bienenkönigin

Ein Kommentar zu 20.000 especies de abejas.

Als wir am Samstagmittag die Cross Section Vorstellung von 20.000 especies de abejas von Estibaliz Urresola Solaguren sehen, ist Hauptdarstellerin Sofía Otero noch nicht mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Aber uns ist klar, dass ihre Performance preisverdächtig ist.

Otero verkörpert das achtjährige Transmädchen Lucía. Der Film fängt die Familiendynamik ein, die es Lucía schwer macht, sie selbst zu sein. Ihre Mutter möchte ihre Kinder fernab von stereotypischen Geschlechterrollen aufziehen, lässt ihre Tochter also mit langen Haaren und lackierten Nägeln herumlaufen. Aber dass das Kind, das sie bei der Geburt Aitor nannte, tatsächlich ein Mädchen sein könnte, ist für sie unbegreiflich, wie oft Lucía auch versuchte, ihr das zu sagen. Lediglich Lucías Großtante, die Imkerin, und ihre Freundin Nico verstehen und akzeptieren, was Lucía von ihnen möchte. Und eigentlich ist es auch ganz einfach: sie möchte Lucía genannt werden.

Es gibt bereits viele Filme, die sich um Trans-Coming-Out-Geschichten drehen. Die wenigsten davon handeln von achtjährigen Kindern. Inspiration für den Film war der Suizid eines Transjungen im Jahre 2018, der hoffte, mit seiner Tat zumindest einen Diskurs anzuregen, im besten Fall die Situation für andere Transkinder zu verbessern. Solaguren entschied sich, die Thematik in einem Film aufzugreifen. Ihr war wichtig zu zeigen, womit sich Trans*kinder jeden Tag aus Neue konfrontiert sehen. Obwohl sie als einzige wissen können, wer sie wirklich sind, wird ihnen genau diese Fähigkeit abgesprochen. Während andere Kinder bestärkt werden, ihre Gefühle zu äußern, sich selbst zu entfalten und ihrem Instinkt zu vertrauen, besteht für Trans*kinder das Risiko, ihre Intuition zu verlieren, nicht mehr auf die innere Stimme zu hören. Von allen Seiten bekommen sie gesagt, dass ihre Gefühle falsch seien, sie nicht wissen könnten, wer sie sind, weil sie noch zu jung seien. Wie ein Kind unter diesen Umständen glücklich werden und seinen Weg in der Welt finden soll, ist mir ein Rätsel.

© Gariza Films, Inicia Films

Solaguren fasst im Publikumsgespräch in Worte, was 20.000 especies de abejas in zwei Stunden einfängt: es sind nicht die Kinder, die sich in Transition befinden, sondern die Familien. Denn Trans*menschen sind bereits zu Geburt, wer sie auch nach ihrem Coming Out sind. Mit unaufgeregter Kameraführung begleiten wir Lucía auf Augenhöhe bei ihren fruchtlosen Versuchen, sich gegen ihren Geburtsnamen zu wehren, nicht ins Schwimmbad zu müssen, wo sie sich nur unwohl fühlt, stattdessen Kleider anzuziehen. Während die Erwachsenen im Hintergrund reden, über ihre Geschlechtsidentität spekulieren, nur um von Lucías Verwandten falsch korrigiert zu werden, hält die Kamera stets auf Lucía.

Es ist faszinierend, Otero auf der großen Leinwand zu begleiten. Zwei Stunden, die größtenteils auf ihre Gesichtsausdrücke fokussiert sind, vergehen wie im Flug. Kamerafrau Gina Ferrer García versteht sich darauf, die richtigen Momente einzufangen, Otero den nötigen Raum für ihren Auftritt zu geben und dennoch stets zur Stelle zu sein.

Solaguren verzichtet darauf, emotionale Stellen durch Musik noch emotionaler zu machen. Ohne die Musik wird das Augenmerk noch mehr auf Oteros Performance gelenkt. Emotionen im Publikum werden nicht durch Musik hervorgerufen, sondern allein durch Oteros Gesichtsausdrücke. 20.000 especies de abejas zählt ohne Zweifel zu meinen diesjährigen Favoriten, wenn nicht sogar zu einem der besten Filme, die ich je sehen durfte. Gefühlvoll eingefangen wird die Dringlichkeit deutlich, die Aufmerksamkeit auf die Situation von Trans*kindern zu lenken, ihnen einen sicheren Raum zu bieten, Vorurteile abzubauen. Kindern zuzuhören und sie ernst zu nehmen, unabhängig ihrer sexuellen Identität.

Obwohl ich diesem Film von Herzen gönne, im Wettbewerb zu laufen – Otero verdient ihren Silbernen Bären und diese Auszeichnung wird ihr und diesem wundervollen Film viele Türen öffnen – wünsche ich mir, dass dieser Film in Generation gelaufen wäre. Oder dass es zusätzliche Vorstellungen für junges Publikum gegeben hätte. Denn während es wichtig ist, dass Erwachsene ihren Horizont erweitern, lernen, ihren Kindern mehr Raum zu geben und ihnen zuzuhören, so können vor allem auch Kinder von diesem Film profitieren und sich eventuell auch selbst in Lucía sehen. Generation zeichnet sich dadurch aus, Kinder ernst zu nehmen, Geschichten aus ihren Augen zu erzählen. Genau das schafft Solarugen mit 20.000 especies de abejas auf unglaublich einfühlsame Weise.

26.02.2023, Johanna Gosten

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