Am Fuß der Treppe

Mittwochnachmittag, irgendwo zwischen Lübeck und Berlin. Der Tag hatte schon einiges zu bieten. Ich bin soeben aus meiner zweiten Klausur des Semesters gekommen und ziemlich direkt in den Zug gestiegen. Heute morgen um 7 Uhr hing ich schon einige Minuten in der Warteschlange für die Pressetickets. Klausur lief bestens, Tickets sind auch in der Tasche. Wie gut, dass mittlerweile so vieles remote geht. Sonst hätte ich wohl kaum an einem Tag Berlinalevorbereitungen und eine Klausur bewältigen können.

Dieses Jahr waren sogar alle unsere Planungstreffen online – die Hälfte des Teams ist schließlich nicht mal mehr in Berlin. Umso schöner ist es, dass wir uns am Freitag endlich alle live wiedersehen können. Schon bei den Planungstreffen hatten wir uns einiges zu erzählen, aber am schönsten ist es eben doch zusammen auf dem Festival.

Es ist die erste Berlinale seit 2020, die ohne Coronaauflagen stattfinden wird. Darüber freut sich Yaron auch schon am meisten. "Ich hoffe wirklich, dass die Berlinale nach ihrer Coronaerkrankung 2021 und der immer noch bemerkbaren Erkältung 2022 dieses Jahr symptomfrei und in vollem Glanze zu alter Form zurückkehren kann. Dass man sich wieder voll und ganz auf politisch Wichtiges, neue Sichtweisen und Dialoge eröffnendes Weltkino freuen kann ohne potentielle Ansteckgefahr im Hinterkopf. Dass sich dieses Jahr endlich wieder alles nur um Filme dreht, und die tolle und einzigartige Kraft, Emotionen zu vermitteln, die dieses Medium nunmal besitzt!"

Auch Anna ist bereit für die (hoffentlich symptomfreie) Berlinale und reist dafür extra aus Dänemark an, wo sie momentan ein Auslandssemester verbringt. Besonders freut sie sich auf viele neue Eindrücke, berlinaletypische Überraschungen und natürlich ganz viel Berlinalestimmung. Ich bin überzeugt, dass wir letztere spätestens dann fühlen werden, wenn der Vorhang am Freitag endlich aufgeht und das berühmte Berlinale-Intro startet. Clara ist eine der wenigen von uns, die auch lange vor der Berlinale in Berlin ist und die Vorfreude auf das Festival ganz anders zu spüren bekommt: „Von Tag zu Tag, an dem ich auf dem Weg zur Uni am Zoopalast vorbeifahre, wird meine Vorfreude auf die kommende Zeit größer. Während der große Berlinale-Bär bereits eindrucksvoll an der Kinofassade prangt und der rote Teppich ausgefahren wird, blättere ich noch einmal durch das Generationsprogramm. Viele Filme, bei denen ich es kaum erwarten kann, sie zu sehen und über sie zu diskutieren. Ich fiebere darauf hin, ab Freitag täglich zwischen dem Zoopalast und der Urania zu pendeln und von Film zu Film mehr in Festivalstimmung zu kommen - auch wenn es ohne das HKW noch etwas ungewohnt scheint. Aber am meisten freue ich mich darauf, all die kommenden Eindrücke und Festivalmomente mit der ganzen Berlinalefamilie teilen zu können; zu lachen und zu weinen; angeregt über die gesehenen Filme zu sprechen; Meinungen und Perspektiven mit den Filmteams und anderen Kinofans auszutauschen und die nächsten zehn Tage einfach endlich wieder die Berlinale genießen zu können!“
Neu ist für uns dieses Jahr der engere Kontakt zum Generation-Team. Seit 2013 arbeiten wir vor allem mit der Pressekoordination von Generation zusammen und durften darüber viele großartige Menschen kennenlernen, die uns immer unter die Arme griffen und alle Hebel für uns in Bewegung setzten. Da uns die Suche nach Nachwuchs seit Jahren umtreibt, haben wir dieses Jahr auch intensivere Kommunikation mit Generation gesucht, um gemeinsam Lösungen für unsere Anliegen zu finden. Melika und Sebastian (Sektionsleitung) hatten sofort ein offenes Ohr für uns und gemeinsam mit der aktuellen Pressekoordinatorin Melanie konnten wir bei einem Treffen so einige Sorgen beseitigen.

Mit neuem Elan gehen wir nun also schon in die 11. Runde. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Und das alles, weil es uns die Berlinale und Film als Medium so sehr angetan haben. Konstantin war vor einigen Jahren das erste Mal bei uns vorbei, wir waren allerdings nicht seine erste Gelegenheit, sich über Film auszutauschen und darüber zu schreiben. „Film ist für mich ein kurzer Blick hinter den Vorhang der Welt. Für einen kurzen Moment habe ich die Möglichkeit durch die Augen einer anderen Person zu blicken. Für diese Möglichkeit liebe ich die Berlinale.“
Liv möchte sich vor allem frei und kreativ entfalten. In ihrem Studium in Hildesheim lernt sie, sich an neuen Textformen auszuprobieren und ihren eigenen Schreibstil zu entwickeln. Eine Kostprobe findet sich am Ende dieses Artikels.

Während ich aus dem Norden nach Berlin tuckere, sitzt Sarah im Zug aus Aachen. Auch sie hat heute noch eine Klausur geschrieben und obwohl wir beide vor allem erst einmal tief durchatmen müssen, tauschen wir uns voller Vorfreude über die kommende Zeit aus.
Sarah berühren besonders die Filme, die sie weit weg von ihrer eigenen Realität führen: „Ein Blick in ihr Programm verrät: die Berlinale ist mal wieder politisch. Neben den Coming-of-Age-Filmen jeglicher Art mischt sich einiges an Verlust darunter, sowie Geschichten über Krieg. Gewohnt düster. Ich bin vor allem gespannt auf die Filme aus dem Iran und der Ukraine, die uns ihre Perspektive näherbringen werden. Ich finde es unfassbar, wie Menschen in meinem Alter einfach nur durch den Zufall, wo sie geboren werden, solch tragische Umstände erleiden. Ich erhoffe mir, noch besser nachvollziehen zu können, wie es ihnen geht, was sie bewegt.
Gleichzeitig bin ich aber auch dankbar für die leichteren, heiteren Filme, die Hoffnung geben, die die Menschen verbinden und aufzeigen, dass wir zusammen eben doch etwas bewirken können.“

Mittlerweile bin ich in Berlin angekommen. Ich muss zwar noch für eine letzte Klausur lernen, aber meine Prioritäten liegen definitiv woanders. Zu meiner diesjährigen Lernprokrastination zählten die Einrichtung eines neuen Blogdesigns und was damit eben noch so anfällt. Diese Berlinale fühlt sich für mich besonders an. Natürlich ist jedes Jahr etwas anderes los – jede Auflage der Berlinale ist besonders. Vielleicht liegt es daran, dass ich zum ersten Mal seit drei Jahren wieder richtig vor Ort dabei bin. Vielleicht an unsere neue Kooperation mit dem Generation-Team. Vielleicht auch einfach nur an meinen tollen Mitstreiter:innen. Jedenfalls muss ich lächeln, wenn ich an die kommenden zehn Tage denke. An Vorstellungen im wunderschönen Zoopalast, an das Schreiben zahlloser Kritiken, an Interviews mit faszinierenden Menschen und an die geladene Stimmung, die sich jedes Mal entlädt, wenn die Absperrungen beseitigt werden und das Publikum die Treppen hinaufstürzt. Denn irgendwie verbringen wir einen Großteil der Berlinale am Fußende irgendeiner Treppe und schaffen es wundersamerweise jedes Mal aufs Neue, uns nicht das Genick zu brechen.

Vielleicht sieht man sich ja morgen Nachmittag im Urania, wenn sich die Schlange langsam füllt, der Saal irgendwann zum Bersten gefüllt ist und die magischen Worte zur Eröffnung des Kplus-Wettbewerbs gesprochen werden.
Bis dahin entlasse ich euch mit Livs Erwartungen zum diesjährigen Festival:

Vor freude
volle Kinos, Begegnungen, Gespräche und der Berlinale Trailer

Vor orte 1
Urania, Zoopalast, Cubix (es fehlen: HKW und Potsdamer Platz)

Vor orte 2
Irgendwo in Belgien, Argentinien, Iran, Polen, Israel, Taiwan, Deutschland, Ukraine, Spanien oder China

Vor her
Recherchieren, Lesen, Pläne planen

Vor blick

© Xinying Lao

15.02.2023, Johanna Gosten

1 Kommentar:

  1. hab Gänsehaut bekommen beim Lesen <3 klingt super! Glückwunsch zu eurer Koop. mit Generation! ich freue mich auf eure Artikel

    AntwortenLöschen

Latest Blog Posts