Die rechte Szene auf der Berlinale Leinwand

Liv
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Synthetische Popmusik dröhnt in den Saal des Haus der Kulturen der Welt. Auf der Leinwand eine Gruppe von Mädchen, die tanzt und sich schminkt, dann „die coolen Jungs“, die über Motorräder reden und sich prügeln. Kiira und Lenni sind der Schnittpunkt der beiden Cliquen. Sie sind 15, ein Paar – und in 9 Monaten werden sie Eltern. Während die Geburt des Kindes immer näher rückt, spitzt die Situation sich zu. Konflikte entstehen. Kiiras naive Leichtigkeit verblasst. Sie erkennt die Probleme, die auf sie zukommen werden. Lenni ist mit der Situation überfordert und sucht Halt. Er findet sie in der rechtsextremen Gruppe der Nachbarschaft. So versucht der finnische Gewinnerfilm des gläsernen Bären 2019 „Hölmö Nuori Sydän“ (Stupid young heart) die Themen Teenagerschwangerschaft und wachsender Rechtsextremismus zu verbinden.




Zunächst bin ich etwas abgeschreckt von den Bildern auf der Leinwand. Die Charaktere wirken stereotypisch und flach. Ein Mädchen, dass sich stark schminkt, sexy tanzt und mit ihren Freundinnen über Instagram und Twitter redet. Die Jungs machen nur was mit Jungs. Die Mädchen nur mit Mädchen. An einigen Stellen fällt mir sogar ein Wechsel zwischen rosa und blauen Farbtönen auf, als das Bild von Kiira zu Lenni wechselt. Die poppige, synthetische Musik gefällt mir überhaupt nicht, aber sie spiegelt das Leben und die Art der beiden Teenager wieder. Aus diesem Grund freunde ich mich im Laufe des Filmes, gegen meinen persönlichen Musikgeschmack, mit dem Sound an – und dann überrascht mich „Hölmö Nuori Sydän“ mit einem dynamischen Wechsel. Je näher die Geburt des gemeinsamen Kindes rückt, desto mehr gewinnt der Film an Handlung und die Charaktere an Tiefe. Die anfänglich naive, oberflächliche Stimmung verfliegt. Gegen Ende springen die Szenen zwischen parallelen Handlungssträngen. Dadurch entsteht eine Dynamik und Spannung, die im Kontrast zum ersten Teil des Filmes steht. Die Ereignisse werden ernster, die Konflikte größer. Nun zeigt sich auch das Talent der jungen Schauspieler. So beeindruckt mich die Leistung der beiden jungen Menschen gegen Ende des Filmes. „Hölmö Nuori Sydän“ schafft es mich nach anfänglicher Skepsis zu fesseln und meine Kritik etwas zu relativieren.

Im Generation-Programm der letzten Jahre liefen viele Filme über Teenagerschwangerschaften. Ich erinnere hier zum Beispiel „Baby Blues“, der polnische Gewinnerfilm der Sektion 14+ im Jahr 2013. Was „Hölmö Nuori Sydän“ von den anderen Filmen unterscheidet und sehenswert macht, ist das Bild von Hoffnung das erzeugt wird. Zu oft habe ich Filme gesehen, in denen dargestellt wurde, wie schrecklich Teenagerschwangerschaften sind, dass es das Leben der jungen Menschen nur kaputt macht und auf niemals funktionieren kann. „Hölmö Nuori Sydän“ ist anders. „Es gibt immer Hoffnung!“, sagt Regisseurin Selma Vilhunen im Publikumsgespräch.
Es muss jedoch erwähnt werden, dass der Film das Thema Rechteextremismus eher anschneidet als wirklich behandelt. Ich hatte erwartet, dass diesem Thema mehr Raum gegeben wird, aber „Hölmö Nuori Sydän“ ist ein Film über eine Teenagerschwangerschaft, nicht über politisch rechte Tendenzen.

Ein Film der tatsächlich das Thema Rechtsextremismus behandelt ist der US-amerikanische Film „Skin“, der im Rahmen der Sektion Panorama der diesjährigen Berlinale läuft. Nach wahren Begebenheiten erzählt der Film die Geschichte des Rechtsextremisten Bryon Widner. Als er aus der Szene aussteigen will, lässt er sich in einem monatelangen, schmerzhaften Prozess alle seine Tattoos mit politisch rechtsextremer Bedeutung entfernen. Der innere Wandel wird am Körper des Mannes sichtbar. In Rückblicken wird erzählt, wie es zu diesem Wandel gekommen ist. Ja, dieser Film bringt das Thema Rechtsextremismus schonungslos auf die Leinwand. Eine große Gruppe von Neonazis läuft mit Fackeln in der Hand über eine Brücke und schreit. Man blickt in Gesichter voll Wahnsinn und Hass. Im selben Moment rieche ich das starke Parfüm von dem Mann, der neben mir sitzt – mir wird schlecht.


„Skin“ zeigt gehäuft extrem gewalttätige Bilder und ich frage mich, ob das die richtige Herangehensweise an diese Thematik ist. Rechtsextreme Menschen sind schrecklich – keine Frage, aber ich glaube ihr Leben besteht aus mehr als Leuten in die Fresse zu schlagen. „Skin“ ist überladen von Gewalt und atmosphärischer Musik. Von allem etwas zu viel!
Am Ende sitze ich distanziert im Kinosessel und denke: Ne, so irgendwie nicht! Wir werden wohl noch warten müssen auf einen Berlinale-Film, der das Thema Rechtsextremismus auf eine humane und produktive Weise behandelt.


15.02.19, Liv Thastum



Right-wing populism on the Berlinale screen


Synthetic pop music fills the House of World Cultures. On the screen a group of girls dancing and applying make-up, then "the cool boys" talking about motorcycles and fighting. Kiira and Lenni are the connection of the two cliques. They're 15, a couple - and in 9 months they will be parents. As the child's birth gets closer, the situation gets serious. Conflicts arise. Kiiras naive easiness fades. She discern the problems she will face in the future. Lenni is overwhelmed with the situation and searches for something to hold on. He finds it in the right-wing group of the neighborhood. This is how the Finnish film "Hölmö Nuori Sydän" (Stupid young heart) tries to combine the themes of teenage pregnancy and the growing right-wing populism.

At first I am a little deterred by the pictures on the screen. The characters seem stereotypical and flat. A girl who puts on make-up, dances sexy and talks to her friends about Instagram and Twitter. The boys only do something with boys. The girls only with girls. At some points I even notice a change between pink and blue light when the picture changes from Kiira to Lenni. I don't like the synthetic pop music at all, but it reflects the life and nature of the two teenagers. That's why I get along with the sound throughout the film, against my personal taste in music. Then "Hölmö Nuori Sydän" surprises me with a dynamic change. The closer the birth of the child comes, the more the film gains in plot and the characters in depth. The initially naive, superficial mood fades away. Towards the end, the scenes jump between parallel actions. This creates a dynamic and tension that contrasts with the first part of the film. The events become serious, the conflicts bigger. Now the talent of the young actors becomes apparent. Towards the end of the film the performance of the two young people impresses me. This is how "Hölmö Nuori Sydän" relativizes my initial skepticism and captivates me.



There were shown many films about teenage pregnancies at the Berlinale Generation program of the last years. I remember, for example, "Baby Blues", the polish winner-film of section 14+ in 2013. What distinguishes "Hölmö Nuori Sydän" from the other films and makes it worth watching is the picture of hope it creates. Too often I have seen films that show how terrible teenage pregnancies are, that it only destroys the lives of young people and can never work out. "Hölmö Nuori Sydän" is different. "There is always hope," says director Selma Vilhunen in the Q&A after the screening. However, it has to be mentioned that the film only touches on the topic of right-wing extremism rather than really dealing with it. I had expected the film to give more space to this topic, but "Hölmö Nuori Sydän" is a film about teenage pregnancy, not about political right-wing tendencies.

A film that actually deals with the topic of right-wing extremism is the US-american film "Skin", which is shown as part of the Panorama section of this year's Berlinale. Based on true events, the film tells the story of the right-wing extremist Bryon Widner. Wanting to get out of the scene, he has all his tattoos with political right-wing extremist meaning removed. It is a painful process that lasts for months. The inner change becomes visible on the man's body. In retrospects, the film tells how this change of mind came about. Yes, this film ruthlessly brings the subject of right-wing extremism to the screen. A large group of neo-Nazis walk across a bridge with torches in their hands - screaming. Faces full of madness and hatred are shown. In that moment I smell the strong perfume of the man sitting next to me - I feel sick.


"Skin" shows a lot of extremely violent pictures and I wonder if this is the right approach to this topic. Right-wing extremists are terrible - no question, but I think their lives are more than just punching people in their faces. "Skin" is overloaded with violence pictures and atmospheric music. A bit too much of everything!
At the end I sit distanced in the cinema-chair and think: No, not like this! Apparently we will have to wait for a Berlinale-film that deals with right-wing populism in a human and productive way.

15.02.19, Liv Thastum

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