Weibliche Lust

Eine Kritik zu Tytöt Tytöt Tytöt -
Schrill, laut, aufgedreht. Brilliant.

In Tytöt Tytöt Tytöt treffen drei eigenwillige, selbstbestimmte junge Frauen aufeinander, die während des kalten, dunklen finnischen Winters versuchen, sich selbst, die Liebe, aber auch ihre sexuelle Lust besser zu verstehen.

Rönkkö ist sich unsicher, ob etwas mit ihr nicht stimmt. Ihre sexuellen Begegnungen befriedigen sie nicht und sie fragt sich, wie und ob sie diese sexuelle Befriedigung überhaupt erreichen kann.
Mimmi ist völlig überfordert von den Gefühlen, die sie auf einmal für die ehrgeizige Eiskunstläuferin Emma empfindet. Eine Beziehung, die sie unfassbar glücklich macht, aber auch an ihre Grenzen bringt; sie Angst verspüren lässt durch diese ungekannte Intensität der Emotionen.
Emma im Gegenzug arbeitet seit Jahren hart und diszipliniert für ihren Traum, hat viel von einer “normalen” Jugend aufgegeben, um professionelle Eiskunstläuferin zu werden. Sie ist überwältigt von dieser plötzlichen Welt an Möglichkeiten und Gefühlen außerhalb des Sports - mit dem Wunsch, auch einfach mal nur eine normale Jugendliche zu sein, die feiern gehen kann und essen darf, was sie möchte.
© Ilkka Saastamoinen / Citizen Jane Productions

Auf der einen Seite grelle Neonlichter in der Nacht, fast zu laute Musik, Überspitzungen bestimmter Situationen. Auf der anderen Seite die warmen Lichter der Lichterketten in den Zimmern der Mädchen, die eine bedeutsame Intimität schaffen. Im doch mittlerweile recht ungewöhnlichen 4:3 Format wirken die Bilder besonders intensiv, die Beziehungen sehr intim.

Tytöt Tytöt Tytöt schafft es, unterhaltsam zu sein und gleichzeitig aus jeglichen Geschlechterklischees auszubrechen und einen (aus Ermangelung eines besseren Wortes) empowernden Film zu schaffen, der aufzeigt, dass weibliche Lust etwas völlig Natürliches ist.
Im sicheren Umfeld dieses Filmes können sich die drei Protagonistinnen frei ausprobieren, ihre Sexualität ergründen - losgelöst von Scham und Ächtung, die in unserer Gesellschaft sonst häufig bei Thematiken weiblichen Begehrens oder weiblicher Wut aufkommen. Dabei bringen Begegnungen mit Jungen die Mädchen nie in Bedrängnis - etwas, was in Realität in dieser Art leider sehr unwahrscheinlich wäre, aber in Zusammenhang mit diesem Film unglaublich bedeutsam ist, um insbesondere den jungen Mädchen im Publikum aufzuzeigen, dass es völlig in Ordnung und im Gegenteil wünschenswert ist, sich auszuleben, sich selber und die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen.
Zudem wird ein Bild von Mädchenfreundschaften gezeichnet, das geprägt ist von gegenseitiger Unterstützung, die zwar auch mal ein bisschen Neid aufkommen lässt, aber dennoch bedingungslos ist. Eine tiefe Verbundenheit zueinander, die dabei hilft, diese verwirrende und überwältigende Zeit des Lebens zu durchlaufen.

Trotz der Grelligkeit schafft die Regisseurin Alli Haapasalo es, eine authentische Geschichte einzufangen, in denen allen drei Hauptcharakterinnen eine Vielschichtigkeit zugestanden wird wie sie in vorherrschenden Filmen selten ist. Ob Bindungsängste oder eine tiefe Wut und Verletzbarkeit durch die schwierige Beziehung zu der Mutter; oder die Sorge, sich sexuell nicht so zu Menschen hingezogen zu fühlen, wie es westlichen Medien zufolge der Fall sein sollte; oder das Bedürfnis und die Angst davor, aus einem vorgefertigten Lebensplan auszubrechen, dem man seit jeher folgt. All das ist unglaublich nachvollziehbar, fesselt das Publikum, sorgt für kurzweilige, lustige und berührende 101 Minuten.
Alli Haapasalo gelingt es, mit Hilfe ihres beeindruckenden Casts - allen voran den drei Hauptdarstellerinnen -, diesen Film mühelos erscheinen zu lassen und das Publikum für die Dauer des Films die Außenwelt vergessen zu lassen, während sie untergründig viele gesellschaftliche Debatten aufführt und ein anderes Bild der Gesellschaft zeichnet.

Ein Feel-Good Film von großer gesellschaftlicher Relevanz. Es benötigt mehr solcher Filme, um junge Mädchen zu ermutigen, sich selber auszuprobieren und ihre Sexualität besser kennenzulernen; um das Stigma rund um die weibliche Lust weiter aufzubrechen. Die Resonanz des Publikums und die vielen jungen Frauen, die sich im anschließenden Publikumsgespräch zu Wort meldeten, sprachen Bände. Eine mitreißende, durch und durch feministische Produktion, die ich allen ans Herz legen würde.

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Weitere Vorführungen:
Mi. 16.02. 20:30 Uhr Cubix 8
Fr. 18.02. 12:30 Uhr Filmtheater am Friedrichshain
Sa. 19.02. 20:00 Uhr Haus der Kulturen der Welt

16.02.2022, Sarah Gosten

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